Am 17.Juli 2006
sitzen wir, Paul und Volker, bei Kaiserwetter wieder auf dem Rennrad. Unser Ziel
ist schon fast "klassischer"
als "klassisch"
zu benennen!
L'Alpe d'Huez lässt uns leiden....
Aus der Feder, sorry, der Tastatur von Paul, stammt der nachstehende Bericht.
Da stehen wir nun, der Puls
hämmert noch irgendwo bei 160, inmitten von gleichgesinnt „Bekloppten“. Links
und rechts in den Touri- Shops
hängen gelbe, grüne und gepunktete Trikots, über
Originalität wollen wir lieber nicht diskutieren. Alle 10 Sekunden schiebt sich
ein neues Velo
hier hoch. Mal Hightech- Carbonrenner, mal Stahlrenner mit
Rahmenschaltung, alle sehen geschafft jedoch auch glücklich und unheimlich
stolz
aus. Mit Jubelschreien und Applaus wird man hier von den Gästen in den Cafés
begrüßt. Die meisten jedoch sind hier mit dem Auto
hoch gefahren und wissen
nicht was hinter denen liegt die sich hier bei 30°C, auf zwei Rädern, die Straße
hoch schinden. 1860 Meter
über Null, 21 Kehren, 13 Km voller Anstrengung und
Qual. Der Name eine Legende- Alpe d’Huez. Mystik und Ehrfurcht umgeben ihn. An
diesen Anstiegen wurde Tour- Geschichte geschrieben und wurden Duelle
ausgetragen, ja hier wurde sogar schon die Tour de France
frühzeitig entschieden
und wurden gestandene Profis zum Ausstieg gezwungen.
Die Einfahrt in die "Legende" bei Le Bourg de Oisans, schaut noch recht nett aus.
Aber mal ganz von vorne, so
schlimm wie der Ruf ist Alpe d’Huez nun doch nicht. Am 17 Juli machten wir uns,
Volker und Paul, auf den
Weg über Bourg d’Oisans, auf den Weg nach Alpe d’Huez.
Als wir dem Straßenschild folgen, wird uns das Ausmaß der Popularität und
Kommerzialisierung der Tour de France erst richtig bewusst. Noch vorm Anstieg
und den Kehren stehen links und rechts der Straße
Wohnmobile, Imbissbuden und
T-Shirt- und Trikotstände. Alle wollen hier mit verdienen. Mit Kopfschütteln
und Erstaunen geht es
langsam auf den Anstieg zu, schon jetzt ist die Straße
voll mit Radsportlern in bunten Trikots diverser Nationalitäten. Mit einem
„Wir
sehen uns dann oben!“ verabschieden wir uns. Von Anfang an war klar, hier fährt
jeder seinen eigenen Schuh. Die erste Rampe
liegt nun direkt vor uns und
synchron betätigen wir unsere Stoppuhren. Auf geht’s! Die ersten Kehren werden
als Scharfrichter
der Etappe bezeichnet, warum, das wird uns nun auch klar. Mehr
als 13% Steigung sprechen für sich. Wir wühlen in den Gängen um die
optimale
Übersetzung zu finden Ich sitze auf einem unspektakulären Alu- Rahmen, Volker
ebenfalls. Schon vor der ersten Kehre fahren
die ersten Schlangenlinien. Das
schöne an diesem Anblick: meist bierbäuchige Möchtegern- Pantanis auf 3000€
teuren Rennern, die
weniger wiegen als ein handelsübliches Bügeleisen. Mit einem
Grinsen geht’s in die erste Kehre und hinein ins Abenteuer. Die Steigung
ist
sehr moderat, die Aussicht jedoch jetzt schon gigantisch. Aufatmen dann in Huez
d’Oisans, ein verschlafenes Dörfchen irgendwo bei
Kehre 15, hier wird es wieder
flacher und die Beine wieder locker. Von oben kommen die ersten die Abfahrt
hinunter gerast. Es ist noch
relativ früh, so gegen halb zehn, und Platz ist nun
schon wirklich kaum noch auf der Straße. Jeder will sich beweisen, bevor am
nächsten Tag das Profipeleton hier die Etappenankunft feiert. Vor den
Wohnmobilen hängen Fahnen von Profiteams und sitzen
Radsportverrückte beim
Frühstück vorm Croissant. Mindestens eine Woche vorher sollte man hier sein, um
sich einen Platz für den
Caravan zu sichern. Laufend muss man Leuten ausweichen,
die bewaffnet mit Malerrolle und einem Eimer Alpina- Weiß die Namen ihrer
Idole
auf die Straße bringen. „Zabel“, „Matze“, „Schleck“, aber auch Aufrufe wie „Ulle
wo bist du?“ sind hier zu lesen. Schon hinter
Kehre 21 konnte man, auf
Niederländisch, „Gleich geschafft, nicht mehr weit!“ lesen. Noch ist Alpe d’Huez,
vom Straßenverlauf
her, nicht erkennbar. Auf 1450 Höhenmeter liegt das Dörfchen Huez, und hier steppt gewaltig der Bär.
Frühstücks - Idyll und harsche Kritik (nicht nur an Ulle) dicht beieinander
Die Wohnmobile stehen mittlerweile Stoßstange an Stoßstange, von irgendwo her kommt laute Musik. Als die Straße eine Kurve macht, gibt es einen erneuten Motivationsstoß: Alpe d’Huez ist nun zu sehen und scheinbar in greifbarer Nähe. Rabobank hat hier eine Bühne und einen Schreihals hingestellt, der unverständliche niederländische Vokabeln von sich gibt.
Wohnwagenkultur hart am Abhang ! + + + L'Alpe d'Huez, ein eigentlich recht trostloser Skiort, aber mit herrlichem Ausblick auf das Ecrins - Massiv
Ich schaue auf die Stoppuhr: 38
Minuten. Meine Herren! Olle Pantani wäre jetzt schon längst oben gewesen. Na
gut, der hatte dafür
auch einen höheren Hämatokritwert. Alpe d’Huez vor Augen
geht es scheinbar noch schneller nach oben. Landschaftlich ist es jedoch
weniger
Anspruchsvoll, links und rechts der Tourismusstadt verunstalten Steilhänge und
Skilifte den Berg. Im Sommer Radfahrer,
im Winter Skifahrer, hier lebt man vom
Tourismus. Auch die Fotografen haben das erkannt, zwei Fotostationen machen
Beweisfotos
für die Verwandten und Arbeitskollegen. Die meisten bringen dabei
jedoch nur noch ein gequältes Lächeln hervor. An mehr oder wenig
sportiv
veranlagten Radfahrern auf Trekking- und Mountainbikes und Rennrädern geht es die
letzten Kehren rauf. Die Straße ist schon
mit Gitterzäunen abgesperrt, die
Population der Wohnmobile nimmt auch langsam ab, als man endlich das Ortsschild
passiert.
Wir sind in Alpe d’Huez, jedoch immer noch nicht oben. Die Straße
macht noch eine Kehre und man fährt direkt auf die schon
beschriebenen Touri-
Shops zu. Endspurt! Hier sucht jeder die letzten Körner und den Kampf gegen die
Uhr. Als es oben endlich wieder
flach wird und man die Beine kaum noch fühlt,
zeigt mein Chronometer 01:01:38h an. Knapp an der Stunde vorbei geschlittert.
Hier war jedoch der Weg das Ziel und die Uhr sekundär. Im erst besten
Lebensmittelgeschäft kaufe ich für einen Euro anderthalb
Liter Wasser und suche
mir ein sonniges Plätzchen am Straßenrand um auf Volker zu warten. Nach
01:11:36h hat auch er die Strapazen
geschafft. Wir sind beide völlig durchnässt
und unser Deo hat auf ganzer Linie versagt. „Fahren wir jetzt noch ‚Le deux
Alpes’ hoch“
fragt Volker mit einem hämischen Grinsen im Gesicht. „Nein!“
erwidere ich „Das reicht mir für heute“. Wir schauen uns noch die
Zielgerade der
Etappe an und versuchen vergeblich eine Crêperie zu finden, bevor es in die
Abfahrt geht und man mit mehr als
50 Stundenkilometern die Auffahrt Revue
passieren lässt. Vorbei an Wohnmobilen, Teamfahnen, der Rabobank- Bühne,
Radtouristikern, Wanderern…
Der gröbste Teil ist vollbracht, da gibt es sogar ein Lächeln für den Fotografen.
Eine Streckenübersicht, mit
allen Tour de France - Etappensiegern in l'Alpe d'Huez.
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Griffe Photos, Alpe d'Huez